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[genuaG8] die juristische Verwüstung
by incollata Saturday, Sep. 04, 2004 at 2:04 PM mail:

Von Vorwärts (www.vorwaerts.ch). autorin: samantha tomarchio. Das juristische Nachspiel ist auch drei Jahre nach den G8- Protesten und der Staatsrepression von Genau noch nicht entschieden. Für die angeklagten DemonstrantInnen wurde sogar ein eigener Gesetzesparagraph geschaffen: Die Verwüstung. Doch angeklagt sind auch Polizeibeamte.

Genua, Hafenstadt in Ligurien, Wohnort von Fabrizio De André,
Schauplatz strategischer Staatsrepression. G8-Gipfel im Juli 2001: Wir
erinnern uns an massive Übergriffe seitens der Polizeikräfte, an die
Gewaltorgie in der Diaz Schule, an die systematische Folter in den
Gefängnissen und an die Ermordung Carlo Giulianis. Kaum gegenwärtig blieb
jedoch die schiere Masse der Demonstrierenden, welche damals mit enormer
Kreativität und Vielseitigkeit ihrer Vorstellung einer «anderen Welt»
Ausdruck verliehen. In Italien schien zum ersten Mal seit den Siebziger
Jahren wieder eine «linke» Bewegung heranzuwachsen, die sich durch eine
beeindruckende Massenmobilisierung und einen hohen Organisationsgrad
auszeichnete. Sie wurde zum Antriebsmotor für die Entstehung zahlreicher
Netzwerke, wie zum Beispiel die Sozialforen, und weiteren Organisationen,
sowie für das Wiedererwachen einer italienischen Gewerkschaftsbewegung.
@Zwischentitel:Strategische Repression
Doch die Geschichte Genuas endete nicht im Juli 2001, als die letzten
Extra-Züge und Reisecars den Schauplatz des Staatsterrors verliessen. Sie
findet heuer mit den Prozessen gegen Demonstrierende und PolizistInnen ihre Fortsetzung.
Staatsrepression war und ist in Italien die Reaktion auf das Erstarken von
linken und ausserparlamentarischen Bewegungen, sei dies mit politischen oder juristischen Mittel, wobei gerade auch die Polizeigewalt, als Teil dieser
Repressionsstrategie, in Genua zur Einschüchterung und Demütigung sehr
effektiv eingesetzt wurde.
Nun kommt die Justiz zum Zuge: Zur Legitimation der massiven Übergriffe
seitens der Polizei werden Demonstrierende zu StraftäterInnen gemacht. Die
italienische Staatsanwaltschaft bedient sich hierfür des neuen
Straftatbestandes der «devastazione», zu deutsch: Verwüstung. Dieser
Gesetzesparagraph erlaubt der Anklage, Verfahren zu sehr unterschiedlichen
Handlungen zusammenzufassen. So kann beispielsweise die Präsenz an einer
Demo, das Werfen eines Steines oder etwa Sprayen, in einem einzigen Prozess anklagt werden. Der Argumentations-Logik folgend, alle hätten voneinander gewusst und seien somit mitverantwortlich. Zudem kann der Straftatbestand der Verwüstung mit sehr hohen Haftstrafen von acht bis fünfzehn Jahren belangt werden. Wohl als Abschreckung für all jene gedacht, die zukünftig an Demonstrationen teilnehmen wollen. Die hohen Strafen können verhängt werden, ohne dass ein konkreter Tatbestand nachweisbar ist.

Polizeifilmchen
Seit Anfang März stehen nun 26 Personen wegen «Verwüstung» vor Gericht. Die Beweisführung der Anklage basiert insbesondere auf einem dreistündigen
Videoband und weiterem Bildmaterial. Hundert Stunden Rohmaterial wurden von einem Polizisten zu drei Stunden zusammengeschnitten, indem einzelne Szenen und Standbilder aneinandermontiert wurden. Damit soll die Anwesenheit der Angeklagten bewiesen werden. Wenn möglich sowohl in einer Situation, in der die Gesichter zu erkennen sind, als auch in einer zweiten Situation maskiert und in Aktion mit derselben Kleidung. Diese Beweisführung ist wohl einmalig in der Geschichte der Rechtswissenschaft. Dennoch ist die Anklage mit dem geforderten hohen Strafenmass in der letzten Anhörung vom 14. Juli 2004 durchgekommen. Nun liegt es an der Verteidigung in den Anhörungen im September 2004 aufzuzeigen, dass die Aktionen der Demonstrierenden eine legitime Reaktion auf die Polizeigewalt waren. Für die AnwältInnen des juristische Netzwerkes «Genova Legal Forum» (GLF) sicherlich ein schwieriges Unterfangen aus dem Informationswirr des hyperdokumentierten Ereignisses juristisch Verwertbares herauszufiltern. Gelingt es der Staatsanwaltschaft mit der Anklage auf «Verwüstung» durchzukommen, werden die Angeklagten nicht
nur als stellvertretende Sündenböcke verurteilt, sondern es wird auch ein
Präzedenzfall geschaffen. Zumal noch weitere fünfzig bis sechzig Prozesse
gegen Leute aus der österreichischen Volkstheaterkarawane und AktivistInnen
aus Deutschland und Italien angekündigt sind. Das heisst, dass Personen für
die blosse Teilnahme an einer Demo oder für eine eingeschlagene Scheibe acht bis fünfzehn Jahre Gefängnis riskieren. Es liegt auf der Hand, dass diese
Prozesse politisch motiviert sind um mündige Menschen zu kriminalisieren und in eine politische Ohnmacht zu treiben, um letztens jeden Widerstand im Keim ersticken zu können.

Polizei auf der Anklagebank
Am 26. Juni hat der Prozess gegen die Polizisten, die am Überfall an der
Diaz-Schule und auf das Media-Center beteiligt waren, begonnen. Zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg sind Polizisten in Italien angeklagt. Dies wurde durch die grosse internationale Öffentlichkeit und dank der guten
Dokumentation der Ereignisse ermöglicht. Ebenfalls Einfluss auf das
Zustandekommen dieses Prozesses hatte Einstellung des Strafverfahrens gegen 93 Personen, welche in der Diaz-Schule in der Nacht vom 21. Juli von der Polizei überfallen und zusammengeschlagen wurden. Es konnte bewiesen werden, dass der Überfall nicht rechtmässig war und die 93 Personen unschuldig sind.
Dass jenes Verfahren erst zwei Jahre nach dem Überfall eingestellt wurde und
keiner der beteiligten Polizisten suspendiert, ja einige sogar befördert
wurden, verdeutlicht die privilegierte Position der Polizei. Dennoch ist nun
die Anklage zustande gekommen, unter anderem wegen Falschbeurkundung,
Verleumdung und Amtsmissbrauch. Die Beweise gegen die 29 Polizisten und vier Befehlshaber der beteiligten Einheiten sollten ausreichen, besonders die
Videoaufnahmen, die aufzeigen, dass die Molotow-Cocktails von der Polizei
selber im Schlafraum versteckt wurde. Generell ist erwiesen, dass alle
Polizeichefs hinter dieser Aktion standen. Somit wusste auch Vizepremier
Gianfranco Fini davon, der ständig in der Einsatzzentrale präsent war. Die
einzige Strategie, die der Verteidigung bleibt, ist, den Prozess so lange
wie möglich zu verschleppen, bis die Öffentlichkeit ihr Interesse daran
verliert.
Im Herbst beginnt der Prozess wegen der Folterungen im Gefängnis von
Bolzaneto. Angeklagt sind 49 Polizisten und zwei Ärzte. Die Ermittlungen
sind schwieriger, es gibt weder Foto- noch Videoaufnahmen, sondern nur die
Beschwerden der misshandelten Gefangenen. Vor zwei Monaten haben sich
allerdings zwei Beamte entschlossen, gegen ihre Kollegen auszusagen. Was der Anklage schlagkräftige Beweise liefert.
Gelingt es dem GLF zu beweisen, dass die Polizeitaktik sich mit solchen
Mitteln, wie bei der Diaz Schule und Bolzaneto, gegen die «Bewegung»
richtete, könnten die Demonstrierenden, vor allem die jetzt im Prozess
involvierten 26, niedrigere Strafen bekommen.

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