Von Vorwärts (www.vorwaerts.ch).
autorin: samantha tomarchio.
Das juristische Nachspiel ist auch drei Jahre nach den G8- Protesten und der Staatsrepression von Genau noch nicht entschieden. Für die angeklagten DemonstrantInnen wurde sogar ein eigener Gesetzesparagraph geschaffen: Die Verwüstung. Doch angeklagt sind auch Polizeibeamte.
Genua, Hafenstadt in Ligurien, Wohnort von Fabrizio De André, Schauplatz strategischer Staatsrepression. G8-Gipfel im Juli 2001: Wir erinnern uns an massive Übergriffe seitens der Polizeikräfte, an die Gewaltorgie in der Diaz Schule, an die systematische Folter in den Gefängnissen und an die Ermordung Carlo Giulianis. Kaum gegenwärtig blieb jedoch die schiere Masse der Demonstrierenden, welche damals mit enormer Kreativität und Vielseitigkeit ihrer Vorstellung einer «anderen Welt» Ausdruck verliehen. In Italien schien zum ersten Mal seit den Siebziger Jahren wieder eine «linke» Bewegung heranzuwachsen, die sich durch eine beeindruckende Massenmobilisierung und einen hohen Organisationsgrad auszeichnete. Sie wurde zum Antriebsmotor für die Entstehung zahlreicher Netzwerke, wie zum Beispiel die Sozialforen, und weiteren Organisationen, sowie für das Wiedererwachen einer italienischen Gewerkschaftsbewegung. @Zwischentitel:Strategische Repression Doch die Geschichte Genuas endete nicht im Juli 2001, als die letzten Extra-Züge und Reisecars den Schauplatz des Staatsterrors verliessen. Sie findet heuer mit den Prozessen gegen Demonstrierende und PolizistInnen ihre Fortsetzung. Staatsrepression war und ist in Italien die Reaktion auf das Erstarken von linken und ausserparlamentarischen Bewegungen, sei dies mit politischen oder juristischen Mittel, wobei gerade auch die Polizeigewalt, als Teil dieser Repressionsstrategie, in Genua zur Einschüchterung und Demütigung sehr effektiv eingesetzt wurde. Nun kommt die Justiz zum Zuge: Zur Legitimation der massiven Übergriffe seitens der Polizei werden Demonstrierende zu StraftäterInnen gemacht. Die italienische Staatsanwaltschaft bedient sich hierfür des neuen Straftatbestandes der «devastazione», zu deutsch: Verwüstung. Dieser Gesetzesparagraph erlaubt der Anklage, Verfahren zu sehr unterschiedlichen Handlungen zusammenzufassen. So kann beispielsweise die Präsenz an einer Demo, das Werfen eines Steines oder etwa Sprayen, in einem einzigen Prozess anklagt werden. Der Argumentations-Logik folgend, alle hätten voneinander gewusst und seien somit mitverantwortlich. Zudem kann der Straftatbestand der Verwüstung mit sehr hohen Haftstrafen von acht bis fünfzehn Jahren belangt werden. Wohl als Abschreckung für all jene gedacht, die zukünftig an Demonstrationen teilnehmen wollen. Die hohen Strafen können verhängt werden, ohne dass ein konkreter Tatbestand nachweisbar ist.
Polizeifilmchen Seit Anfang März stehen nun 26 Personen wegen «Verwüstung» vor Gericht. Die Beweisführung der Anklage basiert insbesondere auf einem dreistündigen Videoband und weiterem Bildmaterial. Hundert Stunden Rohmaterial wurden von einem Polizisten zu drei Stunden zusammengeschnitten, indem einzelne Szenen und Standbilder aneinandermontiert wurden. Damit soll die Anwesenheit der Angeklagten bewiesen werden. Wenn möglich sowohl in einer Situation, in der die Gesichter zu erkennen sind, als auch in einer zweiten Situation maskiert und in Aktion mit derselben Kleidung. Diese Beweisführung ist wohl einmalig in der Geschichte der Rechtswissenschaft. Dennoch ist die Anklage mit dem geforderten hohen Strafenmass in der letzten Anhörung vom 14. Juli 2004 durchgekommen. Nun liegt es an der Verteidigung in den Anhörungen im September 2004 aufzuzeigen, dass die Aktionen der Demonstrierenden eine legitime Reaktion auf die Polizeigewalt waren. Für die AnwältInnen des juristische Netzwerkes «Genova Legal Forum» (GLF) sicherlich ein schwieriges Unterfangen aus dem Informationswirr des hyperdokumentierten Ereignisses juristisch Verwertbares herauszufiltern. Gelingt es der Staatsanwaltschaft mit der Anklage auf «Verwüstung» durchzukommen, werden die Angeklagten nicht nur als stellvertretende Sündenböcke verurteilt, sondern es wird auch ein Präzedenzfall geschaffen. Zumal noch weitere fünfzig bis sechzig Prozesse gegen Leute aus der österreichischen Volkstheaterkarawane und AktivistInnen aus Deutschland und Italien angekündigt sind. Das heisst, dass Personen für die blosse Teilnahme an einer Demo oder für eine eingeschlagene Scheibe acht bis fünfzehn Jahre Gefängnis riskieren. Es liegt auf der Hand, dass diese Prozesse politisch motiviert sind um mündige Menschen zu kriminalisieren und in eine politische Ohnmacht zu treiben, um letztens jeden Widerstand im Keim ersticken zu können.
Polizei auf der Anklagebank Am 26. Juni hat der Prozess gegen die Polizisten, die am Überfall an der Diaz-Schule und auf das Media-Center beteiligt waren, begonnen. Zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg sind Polizisten in Italien angeklagt. Dies wurde durch die grosse internationale Öffentlichkeit und dank der guten Dokumentation der Ereignisse ermöglicht. Ebenfalls Einfluss auf das Zustandekommen dieses Prozesses hatte Einstellung des Strafverfahrens gegen 93 Personen, welche in der Diaz-Schule in der Nacht vom 21. Juli von der Polizei überfallen und zusammengeschlagen wurden. Es konnte bewiesen werden, dass der Überfall nicht rechtmässig war und die 93 Personen unschuldig sind. Dass jenes Verfahren erst zwei Jahre nach dem Überfall eingestellt wurde und keiner der beteiligten Polizisten suspendiert, ja einige sogar befördert wurden, verdeutlicht die privilegierte Position der Polizei. Dennoch ist nun die Anklage zustande gekommen, unter anderem wegen Falschbeurkundung, Verleumdung und Amtsmissbrauch. Die Beweise gegen die 29 Polizisten und vier Befehlshaber der beteiligten Einheiten sollten ausreichen, besonders die Videoaufnahmen, die aufzeigen, dass die Molotow-Cocktails von der Polizei selber im Schlafraum versteckt wurde. Generell ist erwiesen, dass alle Polizeichefs hinter dieser Aktion standen. Somit wusste auch Vizepremier Gianfranco Fini davon, der ständig in der Einsatzzentrale präsent war. Die einzige Strategie, die der Verteidigung bleibt, ist, den Prozess so lange wie möglich zu verschleppen, bis die Öffentlichkeit ihr Interesse daran verliert. Im Herbst beginnt der Prozess wegen der Folterungen im Gefängnis von Bolzaneto. Angeklagt sind 49 Polizisten und zwei Ärzte. Die Ermittlungen sind schwieriger, es gibt weder Foto- noch Videoaufnahmen, sondern nur die Beschwerden der misshandelten Gefangenen. Vor zwei Monaten haben sich allerdings zwei Beamte entschlossen, gegen ihre Kollegen auszusagen. Was der Anklage schlagkräftige Beweise liefert. Gelingt es dem GLF zu beweisen, dass die Polizeitaktik sich mit solchen Mitteln, wie bei der Diaz Schule und Bolzaneto, gegen die «Bewegung» richtete, könnten die Demonstrierenden, vor allem die jetzt im Prozess involvierten 26, niedrigere Strafen bekommen.
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