auf deutsch: Bericht des Il Manifesto
Prozess gegen die Polizei in Genua Alessandro Mantovani, Genua Es habe sich nicht um “korrupte Elemente” und um keine “einzelnen Missbräuche gehandelt und deshalb, so ein Justizbeamter, “sollen es die Generäle sein, die dafür bezahlen, und nicht die Soldaten”. Als letzte Akt bevor der Strafantrag wegen der Gewalttaten in den Schulen Diaz bzw. Pascoli und im Bolzanetto gestellt wird, wurden gestern von der Staatsanwaltschaft von Genua an 73 Polizeibeamte die Mitteilung über den Abschluss der Ermittlungen versandt. Francesco Gratteri, der Gianni De Grennaro sehr nahe steht, wird sich wegen Fälschung, schwerer Verleumdung und wegen Amtsmissbrauch verantworten müssen. Die Folgen jener „Durchsuchung“ in der Nacht des 21. Juli vor zwei Jahren, die in einem Massaker endete waren 61 Verletzte, 93 willkürlich Verhaftete, zwei untergeschobene Molotowcocktails, eine erfundene Messerstecherei und Protokolle, die von „heftigem Widerstand“ sprachen und von Zimmermannswerkzeugen, die als „waffenähnliche Gegenstände“ benutzt worden seien. Dieselben schwerwiegenden Anklagen werden auch gegen Gianni Luperi und Lorenzo Murgolo erhoben. Sie werden als jene bezeichnet, welche die Operation zusammen mit Gratteri und dem verstorbenen Arnaldo Barbera, damals Leiter der Antiterroreinheiten, leiteten. Für die Staatsanwaltschaft handelten sie „mit dem Ziel, ein Konstrukt von Beweisen zu Lasten der Verhafteten zu erbauen und begingen in der Folge die Verleumdungen und den Amtsmissbrauch, um damit die angewendete Gewalt zu rechtfertigen.“ „Sie spielten, aufgrund ihrer Stellung und wegen des hierarchischen Bezugssystems, sowie den damit verbundenen Möglichkeiten, ihre Macht aus, wohl wissend was in Wahrheit vorgefallen war. Sie bewirkten und veranlassten Polizeiagenten sowie Beamte der Gerichtspolizei zu Falschaussagen: -Widerstand angetroffen zu haben -dass die im Institut aufgefunden Sachen (Vorschlaghammer, Stöcke, Spitzhacken, Bretter, Stangen) als Waffen, auch um Widerstandshandlungen zu begehen, benutzt worden seinen -dass zwei entzündbare Flaschen gefunden wurden -dass ein Angriff zu Schaden eines Polizisten, durch einen heftigen Messerstich auf Höhe des Brustkorbes, ausgeübt wurde“. Und weiter: „Jeder der vorher genannten Beamten beschuldigte wissentlich Unschuldige. Wegen den ihnen zugeschrieben Delikte (kriminelle Vereinigung mit dem Ziel der Zerstörung und Plünderung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Besitz explosiver Materialien und waffenähnlicher Gegenstände) wurde gegen sie ermittelt. Ermittelt wurde auch gegen Unbekannt, jedoch innerhalb von ihnen ausmachbar, wegen versuchten Mordes “.
Gleich schwer wiegen auch die Taten der 10 Beamten des mittleren Kaders, dazu noch Vizepolizeipräsidenten, welche die Protokolle schrieben oder unterschrieben: Gilberto Caldarozzi (Vize von Gratteri), Spartaco Mortola (ex-Chef der DIGOS von Genua), Nando Dominici (ex-Chef der Mobilen Einheit von La Spezia), Massimiliano Di Bernardini (Chef der Einsatztruppe zur Bekämpfung von Überfällen von Rom) Fabio Ciccimarra (mehrfach dekorierter des Einsatzkommandos von Neapel), Carlo di Sarro (ex-DIGOS van Genua), Massimo Mazzoni (Inspektor des Zentralen Operationsdienstes SCO), Davide De Novi e Renzo Cerchi (vom Einsatzkommando La Spezia). Laut der Staatsanwälte schrieben Ciccimarra, Ferri und Di Bernardini das Verhaftungsprotokoll. Die Durchsuchung und die Beschlagnahmung wurde hingegen von Mazzoni protokolliert, der Gratteri direkt unterstellt war.
Der Truppe wird kein Prozess gemacht werden. Das Massaker haben die Chefs der Mobilen Einheit von Rom und der Siebten Einheit zur Eindämmung von Massenaufständen, die extra für den G8 gebildet wurde, zu verantworten. Die Straftat von Vincenzo Canterini ist „Beteiligung beim Zufügen schwerer Verletzungen“. Er ist zudem ebenfalls der Fälschung und des Amtsmissbrauchs angeklagt, wie auch sein Stellvertreter, Michelangelo Fournier und 8 Gruppenleiter (Fabrizio Basili, Ciro Tuco, Carlo Lucaroni, Emiliano Zaccaria, Angelo Cenni, Fabrizio Ledoti, Pietro Stranieri und Vincenzo Compagnone). Die Staatsanwälte schreiben, dass jene „zusammen mit anderen anwesenden Beamten und Polizeiagenten, den Personen, sich im Gebäude aufhielten verschiedene, auch schwere, Verletzungen mit dem Polizeiknüppel oder durch andere Gewalttaten zufügten oder sie auf alle Fälle nicht verhinderten. Die Polizeiagenten und Beamten überschritten bei weitem die Grenze des legitimen Gebrauchs von körperlichem Zwang (…) , indem sie mit Gewalt auf die vorher genannten Personen, alle in offenkundigem Verhalten des Nichtangriffes und der Kapitulation, schlugen und in einigen Fällen grausam gegen solche, die schon am Boden lagen, vorgingen“. Und es folgt eine Aufzählung von Verletzungen: Frakturen des Schädels und der Arme, eine Milzruptur, ein gequetschter Hoden…. Es retteten sich die 70 Polizisten der „Truppe“, die das Gesicht vermummt hatten. Es schlugen auch noch viele andere zu, in Zivil, in Uniform. Sie wurden jedoch nicht identifiziert. Laut der Staatsanwaltschaft nahmen über 200 einfache Polizeibeamte der Staatspolizei teil. Eine so lange Liste erreichte den Staatsanwalt jedoch nie. Es erschienen weder Pietro Troiani, der Vizepolizeipräsident, der die Molotowcocktails in die Schule bringen liess, noch sein Assistent Michele Burgio, der zugab, diese dorthin gebracht zu haben, um danach angewidert aus der Polizei auszutreten: angeklagt sind auch diese beiden. Für den angeblich mit dem Messer gestochenen Massimo Nucera und für den Inspektor Maurizio Panzieri, der dessen Version bestätigte, lauten die Anklagen auf Fälschung und danach Verleumdung und Amtsmissbrauch.
Die 3 Beamten, die die Durchsuchung auf das Institut Pascoli gegenüber der Diaz ausweiteten, riskieren ebenfalls einen Prozess. Dies sind Salvatore Gava, Leiter der Mobilen Einheit von Nuoro, Alfredo Fabbroncini von Neapel und Luigi Fazio, der römischen Mobilen Einheit, der auch wegen Schlägen gegen einen jungen Deutschen angeklagt ist. In die Pascoli seien sie „aus Versehen“ hinein, Gratteri übernahm die Verantwortung dafür, zerstörten die Computer des Medien-Centers sowie jene der Anwälte: willkürliche Durchsuchung, Nötigung, Zerstörung sowie Amtsveruntreuung, weil sie die Harddisk mitnahmen, wird ihnen zur Last gelegt.
„Unmenschliches und erniedrigendes“ Bolzanetto. Es sind 30 für die Diaz und 43 vom Bolzaneto angezeigt. Aber von diesen sind nur fünf als Protagonisten spezifischer Gewalttaten, Drohungen und Meineide wieder erkannt worden. Die anderen waren Verantwortliche der Kaserne, welche in ein Polizeigefängnis umgewandelt worden war. Unter denen ist auch Giacomo Toccafondi, der Gefängnisarzt im Tarnanzug: Amtsmissbrauch; Übertretung einer ganzen Liste von Regeln des Gefängnisreglements; Machtmissbrauch gegenüber den Verhafteten; Verletzung des von der Verfassung vorgesehenen Rechts auf Gesundheit; unterlassene Hilfeleistung; Verletzung der fundamentalen Menschenrechte. Die Anklage des Polizisten Massimo Luigi, der einem jungen Mann die Hand brach, lautet gleich.
Alessandro Perugini, Nummer zwei der DIGOS von Genua, war der Chef der Staatspolizei, jener der einem Jungen von Ostia einen Tritt ins Gesicht versetzte. Er wird sich dafür verantworten müssen, dass er „toleriert oder zumindest nicht eingegriffen habe, als die Personen gezwungen waren, sich einer unmenschlichen Behandlung zu unterziehen, welche die Würde des Menschen nicht respektierte und folglich demütigend, unmenschlich und erniedrigend war“. Denn im Bolzanetto, so erinnern die Staatsanwälte, „waren die Personen in den Zellen gezwungen, über lange Zeit demütigende Stellungen einzuhalten. Während sie von einem Raum in den nächsten gebracht wurden, wurden sie im Gang vom Personal, das sich spalierartig formiert hatte, geschlagen und bedroht“. Und weiter erhielten sie „Beleidigungen und Anschuldigungen in Bezug auf ihre politische Meinung (‚kommunistische Zecken`, kommunistische Bastarde`, ‚rufe jetzt Bertinotti`, ‚jetzt zeig ich dir mal Che Guevara e Manu Chao`, ‚Che Guevara, du Hurensohn`, ‚Bombenleger`), ihre Persönlichkeitssphäre und sexuelle Freiheit (‚Scheißschwuchtel`), sowie ihre Glaubensausrichtung (‚Scheißjuden`) wurden verletzt „und sie waren gezwungen“ sich faschistische Ausdrücke anzuhören (zum Beispiel mussten sie sich den Klingelton des Mobiltelefons, das aus dem faschistischen Lied „Faccetta nera bellla abessina“ [schwarzes Gesichtchen, schöne Abessinierin] bestand anhören und den Reim: „uno due tre, viva Pinochet, quatro cinque, sei, morte agli ebrei“ [eins, zwei drei, es lebe Pinochet, vier, fünf, sechs, Tod den Juden]). Weiter gab es „Hiebe, Drohungen, Spucken, Spottgelächter“.
Die Staatsanwaltschaft ist gespalten. Die Anklageschrift unterschrieben sechs zweite Staatsanwälte: Francesco Cardona Albini, Vittorio Ranieri Miniati, Monica Parentini, Patrizia Petruzziello, Francesco Pinto und Enrico Zucca. Es fehlen die Chefs: der Chefstaatsanwalt Francesco Lalla und sein Assessor Giancarlo Pellegrini haben sich vor allem für Anfragen über die Demonstranten interessiert, sowie für die Verhaftungen und die Eröffnung der Verfahren gegen die 26 Angeklagten wegen Zerstörung und Plünderung.
Pisanu stellt sich hinter die Polizei. Sofort kam die Kommentar des Innenministers: „Es ist nur ein notwendiger Akt“ sagte Beppe Pisanu, „die italienische Polizei ist so gesund, dass sie ruhig jegliches Urteil entgegen nehmen kann und, falls es nötig werden wird, ruhig die administrativen Entscheide treffen wird, welche ein eventuelles Gerichtsurteil opportun werden lassen“.
Alle angeklagten Polizisten des G8 wurden befördert. In 2 Jahren wurde keiner bestraft - außer wenn jemand versuchte über die Vorfälle zu ermitteln oder die Wahrheit sagen wollte. A. Man. Genua Viele der Beamten, die wegen des G8 vor Gericht gehen werden müssen, sind befördert worden oder für prestigeträchtige Aufgaben eingesetzt. Dies ist auch bei Francesco Gratteri, dem Zögling von Gianni De Gennaro, der Fall. Gerade wurde er an der Spitze der Antiterroreinheit (ex Ucigos) eingesetzt, nachdem er die Zentrale Operative Einheit SCO der Kriminalpolizei geleitet hatte. Diese Nominierung ist speziell, da Gratteri, Protagonist der Antimafiazeit in der Mitte der 80er Jahre sich nie um die Politik, sondern nur um die Kriminalität im grossen Ausmasss kümmerte. Tatsächlich hat er schon angekündigt, bei seinen neuen „Klienten“ die an der „Cosa Nostra“ ausprobierten Methoden anzuwenden. Eine Stufe unter ihm befindet sich sein Mitangeklagter Lorenzo Murgolo, bereits die Nr.2 des Polizeipräsidiums von Bologna. Gianni Luperi, Direktor der Einheit allgemeine Untersuchungen vervollständigt die politische Polizei von De Gennaro: auch Luperi hat Ärger wegen der Diaz. Ein Film zeigt alle im Korridor der Schule rund und einen Sack mit den untergeschobenen Molotowcocktails Die Vizepräsidenten und Chefkommissare der DIGOS und der mobilen Einheiten sind an ihrer Stelle geblieben: so Filippo Ferri in La Spezia und in Nuoro Salvatore Gava. Fabio Ciccimarra wurde hingegen in ein unwichtiges römisches Büro versetzt, nachdem er die Fakten in der napoletanischen Kaserne Raniere angeklagt hatte. Die Genuesen sind in Genua geblieben: der ex-Chef der DIGOS Spartaco Mortola leitet heute die Polizei für Post und Telematik, sein ex- Vize Allessandro Perugini ist heute Personalchef des Polizeipräsidiums, obwohl wenn er wegen Bolzanetto und auch wegen eines kaltblütigen heftigen Trittes gegen einen immobilisierten Minderjährigen beschuldigt wird. Unnötig Vincenzo Catterini zu erwähnen, der auch von der Polizeigewerkschaft Consap geschützt wird, welche ihn in ihr Sekretariat gewählt hat: Das Einsatzkommando der Polizei ist immer noch sein Reich.
Sofort nach dem G8 sandte der Polizeichef drei weitere Beamte nach Genua um eine eilige interne Untersuchung einzuleiten. Pippo Micalizio, betraut mit der Affaire Diaz, machte sich nicht schlecht: obwohl er die gefälschten Molotows ignorierte, schlug er acht Disziplinarverfahren bei gleich vielen Beamten vor, unter ihnen der unberührbare Gratteri, und verlangte im Falle Canterini dessen Ausschluss aus der Polizei. Der Einzige, der bis heute Konsequenzen spüren musste, war gerade Micalizio. Er steht heute ohne jegliche Beförderung oder interessante Aufgabe da. De Gennaro enthob hingegen ihrer Stellen den damaligen Polizeipräsidenten von Genua, Francesco Colucci (Schuldig vieler Dinge, vor allem aber, dass er die Verantwortung den Leitern, die von Rom kamen übergeben hat), den damaligen Chef des Antiterrorismus, Arnaldo La Barbera und die Vorgängige Nummer Zwei der Polizei, Ansoino Andreassi. Collucci wurde einige Jahre ins Abseits gestellt und ist nun als Polizeichef von Trento aus der Versenkung wieder aufgetaucht. La Barbera, der am G8 eine obskure Rolle innehatte, zu welcher er jedoch keine Fragen mehr beantworten kann, da er 2002 verstarb, wurde zum Nachrichtendienst gesandt. Auch Andreassi endete dort. Genauer gesagt beim zivilen Nachrichtendienst SISDE als Stellvertreter von Mario Mori, der General der Carabinieri, der den zivilen Geheimdienst leitet. Für Andreassi ist dies wirklich eine Strafe. Und das war nur logisch: am G8 richtete Andreassi in der Tat weniger Schaden als andere an. Nach der Ankunft von La Barbera (am Nachmittag vom Samstag, 21.) zog er sich zurück und nahm weder an den Vorbereitungen zur Durchsuchung der Diaz teil, noch zeigte er sich an Ort. Im Rahmen der Ermittlungen war er zusammen mit Micalizio der einzige, der nicht einen total schlechten Eindruck hinterliess. Beide wurden sie als Zeugen angehört, beide bemühten sich, nicht zu den Denunzianten zu gehören, den „Schuften“, wie sonst im Zusammenhang mit Straftaten. Aber Micalizio bestätigte, dass Beamte in die Geschehnisse jener Tage vom August 2001 involviert waren und Andreassi half den Justizbeamten den Nachmittag zu rekonstruieren, wo die Jagd gegen die GlobalisierungsgegnerInnen in der Diaz endete.
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